Josef und Jesus

144 Übereinstimmungen: Josef und Jesus
Ein heilsgeschichtlicher Vergleich

Zwei Gestalten der Bibel, Josef und Jesus, lebten in einem zeitlichen Abstand von etwa 2000 Jahren. Sie wurden von unterschiedlichen Verfassern zu unterschiedlichen Zeiten beschrieben. Und doch finden sich frappierende Übereinstimmungen, die nicht aus sich selbst erklärbar sind, sondern die auf die Autorschaft des einen Gottes schließen lassen.


Leseprobe

 

Schwellen-Persönlichkeiten

Die Josefserzählung in Gen 37-50 stellt den Übergang von den Vätergeschichten im ersten Buch Mose zur Anfangsgeschichte Israels im zweiten Buch her. Die Konstituierung als Volk beginnt mit der Erwählung des Mose in der Sinaiwüste und findet mit dem Torabund am Horeb ihren Höhepunkt. - Ein vergleichbarer Übergang vollzieht sich durch das Wirken Jesu und seiner Apostel: durch den Höhepunkt des Wirkens Jesu, sein Sterben und Auferstehen, den neuen Bund, entsteht ein neues Volk Gottes in Gestalt der neutestamentlichen Gemeinde, die sich fortan auf die Wanderung durch die »Wüsten der Welt« macht.

 

Übergänge

Sowohl das Werden Israels als auch der Christusgemeinde vollzieht sich im Zusammenhang einer räumlichen Bewegung von Israel bzw. Kannan ins heidnische Ausland. Die Anfänge der Entstehung Israels als Volk als auch diejenigen des neuen Bundesvolkes haben zwar in Israel ihre Wurzeln, doch die entscheidende Entwicklung geschieht im Kontext nichtisraelischer und nichtchristlicher Völker. "So wohnte Israel in Ägypten im Lande Goschen, und sie hatten es inne und wuchsen und mehrten sich sehr." (Gen 47,27). "Als nun Josef gestorben war und alle seine Brüder und alle, die zu der Zeit gelebt hatten, wuchsen die Nachkommen Israels und zeugten Kinder und mehrten sich und wurden überaus stark, so daß von ihnen das Land voll ward." (Ex 1,6-7). - Beginnend in Jerusalem wuchs die christliche Gemeinde schon in ihren Anfangszeiten ganz erheblich. Sie "lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk. Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden." (Apg 2,47). Bereits nach wenigen Jahrzehnten gab es christliche Gemeinden fast überall im Mittelmeerraum einschließlich der Reichshauptstadt Rom.

 

Unterdrückung

"Da kam ein neuer König auf in Ägypten, der wußte nichts von Josef und sprach zu seinem Volk: Siehe, das Volk Israel ist mehr und stärker als wir. Wohlan, wir wollen sie mit List niederhalten, daß sie nicht noch mehr werden." (Ex 1,8-10).

Es wurde eine Verwaltungsebene von Aufsehern eingezogen, die flächendeckend die Israeliten mit Zwangsarbeit niederzuhalten hatten. - Gleiche Absichten hegten die Römer, wenn sie Maßnahmen zur Unterdrückung des wachsenden Christentums ergriffen. Waren Christenverfolgungen zunächst spontan, lokal oder regional begrenzt, waren es "später kaiserlich angeordnete, gesamtstaatliche und systematische Versuche, die neue Religion in ihrem Wachstum aufzuhalten, um sie in das römische Gesellschaftssystem zu integrieren oder in ihrer Struktur dauerhaft zu zerschlagen."26 Bei den Israeliten wie auch bei den Christen sollte das Wachstum der Gemeinde verhindert werden.

 

Dienendes Dasein

Josef bleibt eingebunden in die Voraussage, die Gott bereits seinem Urgroßvater Abraham gegeben hatte: "Deine Nachkommen werden Fremdlinge sein in einem Lande, das nicht das ihre ist; und da wird man sie zu dienen zwingen und plagen vierhundert Jahre." (Gen 15,13). Das prognostizierte Dasein in dienender Gestalt wurde wahr, - wie auch Jesus in tiefster Erniedrigung existieren musste. Die Gottesknechtslieder des Jesaja legen davon beredtes Zeugnis ab und betreffen Israel und Jesus, ihn am allermeisten. "Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet." (Jes 53,3). Die Haltung des Dienens umfasst nicht nur die fürsorgliche Tätigkeit am Nächsten, sondern ist allein möglich durch das Zurückstellen der eigenen Person. Ein solcher Lebensstil der Hingabe und des Verzichts ist bei Josef und Jesus gleichermaßen zu beobachten.

 

Israel bleibt

Wenngleich die Kapitel Gen 37-50 zurecht als Josefsgeschichte bezeichnet werden, ist Josef aufgrund seiner bewegten Biographie noch nicht per se das Oberhaupt seiner Familie. Jakob/Israel bleibt das "Haupt des Hauses und das Zentrum, um welches die ganze Entwicklung sich bewegt. Diese Entwicklung wird durch die Übersiedlung Jakobs nach Ägypten geteilt in die Zeit des Wohnens Jakobs im Lande Kanaan (Kap. 37-45), und in den Beschluss seines Lebens im Lande Gosen in Ägypten (Kap. 46-50)."27 - Der Zion bleibt auch bei Jesus das Zentrum: von Jerusalem sendet er seine Jünger in die Welt aus, in Jerusalem treffen sie sich zum Apostelkonzil, Jerusalem ist Ort der Urgemeinde, auf den Ölberg wird Jesus bei seiner Wiederkunft zurückkehren, vom neuen Jerusalem aus wird er die Welt regieren. Parallel in beiden Geschichten verläuft die kreisförmige Bewegung von Israel in die Heidenwelt und wieder zurück ins verheißene Land.