Segen für die Völker

Einführung ins Alte Testament I
Pentateuch - Segen für die Völker

Einführung in den Pentateuch, die Geschichtsbücher, die poetische - und Weisheitsliteratur des Alten Testaments und ihre Ortsbestimmung im Kontext des biblischen Kanons (Biblische Theologie).

Leseprobe

 

Schöpfung aus dem Nichts?

Die Rede von der "Creatio ex nihilo", der Schöpfung aus dem Nichts, will sagen, dass Gott keine Voraussetzungen oder Materialien benötigt, um Schöpfung hervorzubringen. Jedoch reden die biblischen Texte nicht von einer "Schöpfung aus ...", sondern von einer "Schöpfung durch ...", was besagt, dass der Akzent in erster Linie auf den Schöpfer gelegt ist und nicht auf die Herkunft des Geschaffenen, das Verfahren oder dessen Mittel. Eine "Schöpfung aus ..." folgt im Grunde einer den biblischen Texten fremden Fragestellung, die materialiter nach dem »Stoff« fragt, aus dem etwas entstanden ist. Diese Denkweise impliziert quasi eine »Hardware«, die einer »Software« als Existenzgrundlage vorausgehen muss. In biblisch-hebräischer Logik ist die Sache umgekehrt: die »Software« bringt die »Hardware« hervor, die Intelligenz die Materie. Insofern ist die Rede von der "Creatio ex nihilo" intentional zwar verständlich, methodologisch jedoch nicht zutreffend. Das hier gemeinte "Nihil" ist weder vorstellbar noch existent, auch der »Status« einer Nicht-Existenz ist kein aussagbarer, weshalb die Formulierung "ex nihilo" per se schon sinnlos ist: Gott schafft nicht aus dem Nichts, sondern aus sich selbst und durch sich selbst. Von Gen 1,2 her gesehen müsste man sogar von einer "Creatio ante nihilum" einer Schöpfung gegen das Nichts, gegen das Chaotische, Wüste und Leere (tohuwabohu), sprechen. Wenn es außerhalb Gottes und seiner Schöpfung keinen dritten Bereich gibt, kann keine Aussage über dieses de facto nicht vorhandene Außerhalb gemacht werden, auch nicht darüber, dass da ein "Nichts" sei. Von einem "Nichts" zu reden ist jedoch bereits eine Aussage, die nur möglich wäre, wenn dieses "Nichts" zu Gott oder zur Schöpfung gehören würde. Da dieses nicht der Fall ist, ist die Rede von der "Creatio ex nihilo" allenfalls philosophisch spekulative Rhetorik, die indes kritischer theologischer Reflexion nicht standhält. Anders dagegen die biblischen Schöpfungsworte, die theo-logisch denkerische Klarheit atmen und sich zu Gottes Schöpfungshandeln bekennen, dazu einige Beispiele:
Ps 33,6: "Durch das Wort des HERRN sind die Himmel gemacht und durch den Hauch seines Mundes ihr ganzes Heer."
Ps 107,20: "Er sandte sein Wort und heilte sie und bewahrte sie vor ihren Gräbern."
Ps 119,25: "Meine Seele klebt am Staub, schenke mir Leben aufgrund deines Wortes."
Ps 119,89: "Auf ewig (lange Zeit), HERR, steht dein Wort im Himmel."
Ps 119,107.154 "HERR, schenke mir Leben nach deinem Wort."

 

Schöpfung durch das Wort

Mit dem "Da sprach Gott" beginnen die Werke der sechs Tage. Es sind die Werke des Logos, des Wortes Gottes, wie das Johannesevangelium in seinen ersten drei Versen betont. "Durch das Wort des HERRN sind die Himmel gemacht und durch den Hauch seines Mundes ihr ganzes Heer" (Ps 33,6). So unscheinbar, schlicht und offenbar schwach bricht hier eine gewaltige Schöpferkraft aus der still schwebenden Geist-Ebene hervor. Bewirkt von einem Gott, der sich erlaubt »nur« zu reden, mit einem »bloßen« Wort das Größte und Bedeutendste hervorzubringen. Ein Gott von einer völlig ungebunden und unbeeindruckt agierenden Freiheit, einer Freiheit, die ein liebendes Ich und geliebtes Du alternativlos im Mittelpunkt des Schöpfungshandelns sieht. Was Paulus in souveräner Unabhängigkeit über das Kreuz sagt, gilt gleichermaßen für die Wort-Schöpfung: "Denn das Törichte Gottes ist weiser als die Menschen, und das Schwache Gottes ist stärker als die Menschen" (1Kor 1,25). Dass Menschen viele Worte machen, alles Mögliche und Unmögliche mit ihren Worten anstellen, dass ihre Worte ihr Wort entwerten, ist nichts Außergewöhnliches. Dass der allmächtige und unendlich große Gott die Welt mit seinem Wort schafft, ist dagegen eine Revolution, eine Umkehrung der Dinge. Mit dem Unbedeutendsten geschieht das Bedeutendste, mit etwas Gewöhnlichem das Außergewöhnlichste, mit Alltäglichem das ganz Einmalige. In das gesichts-, und ebenso geschichts- und gestaltlose, das wert- und wortlose Chaos hinein ertönt Gottes Reden. Eigentlich nicht der richtige Ort, nicht das geeignete Gegenüber um zu reden, vielmehr ein Zustand, der eher dazu angetan ist, zu verstummen. Sollte Gott nicht dort reden, wo er Resonanz findet, unter Seinesgleichen, Artverwandten, in einer göttgleichen Umgebung,wo ein positives Echo zu erwarten ist? Eine Kommunikation zwischen Gott und dem Chaos? Ein Unding, die Finsternis redet nicht, gibt keine Antworten, Schweigen und Verschweigen ist ihr Element. Sich nicht regen und bewegen zu können heißt auch nicht reden können. Doch Gott wendet sich dem von ihm Gerichteten zu. Er gewährt und ermöglicht eine Bedeckung der Chaosflut mit Wasser und Geist. Gott schützt das ihm Fremde und Entgegenstehende, das Dunkle und Verworrene, das Schutzlose und Entblößte, - wie Gott nach dem Sündenfall der entehrenden Nacktheit seelsorgerlich begegnete: "Und Gott der Herr machte Adam und seiner Frau Röcke von Fellen und zog sie ihnen an" (Gen 3,21), er fertigt nicht nur die Bekleidung, er zieht sie ihnen auch an. Dass Gott ausgerechnet ein schwaches, aber doch so machtvolles Wort verwendet, das in der Lage ist, selbst die Welt hervorzubringen, offenbart die fundamentale Bedeutung des gesprochenen Worts. Mit dem Wort wird Schöpfung ins Leben gerufen, im Wort wird Schöpfung gestaltet und an das Wort wird die Schöpfung gebunden. "Und nun, so spricht der HERR, dein Schöpfer, Jakob, und der dich gebildet hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du gehörst zu mir" (Jes 43,1; vgl. Jes 45,3.4). Mit dem Namen, einem einzigen Wort, wird ein ganzes Volk, Tausende von Menschen, repräsentiert und auf ein zentrales »Link« konzentriert. Ein einziges Wort bündelt die vielfache Gestalt persönlicher Lebensgeschichten und umfassender Volksgeschichte. Offenbar vermag nichts anderes als allein das Wort eine solch komplexe Fülle zu fassen - und eine solche Fülle zu schaffen.

Wortinflation

Den Kontrast zu dieser Wortzentrierung bildet die moderne sog. »Inflation der Worte«: ist sie möglicherweise eine Reaktion auf den Verlust des Wortes? Soll unter Ausblendung desjenigen Wortes, das uns sagt "Du gehörst zu mir", mit ersatzweise eingefügten Alternativworten bewirkt werden, was nur dieses Wort vermag? Ist die Antwort auf die Erosion des Wortes Gottes eine Eruption von menschlichen Worten? Bemerkenswerterweise antworten wir auf diesen Wortverlust nicht mit anderen Mitteln und Formen, sondern wiederum mit dem Wort! Wenn allerdings auch mit dem eigenen, mit dem sich der Mensch selbst ruft, und nicht demjenigen, mit dem Gott ihn ruft, aber eben doch mit dem Wort. Sieht sich der Mensch gezwungen, Gott zu imitieren und an seiner Stelle zu reden, weil er ihn verlassen und verloren hat? Parallel dazu erleben wir eine Flut der Bilder. "Ein Bild sagt mehr als tausend Worte" geht als geflügeltes Wort nicht nur im Bereich der Medien um. Bilder könnten mehr sagen als Worte in ihrer eingeschränkten Anzahl und Deutung, ihrer Abstrahierung und Begrenzung an Ausdrucksfähigkeit. Doch darf kritisch zurückgefragt werden, ob dies tatsächlich zutrifft, oder ob eventuell dem Bild etwas zugesprochen, zugemutet wird, vielleicht gar ein aufgesetzter Mythos, dessen Anspruch es gar nicht einzulösen vermag? Und tatsächlich war am Anfang nicht das Bild, sondern das Wort. Weiter zu fragen ist: Kann ein Bild etwas "sagen", ohne dass nicht wieder Worte daraus werden? Zumal die Intuition, die Verinnerlichung einer »Bildsprache«, per se nicht kommunikabel ist, ohne Worte kann niemand an ihr teilhaben, können verschiedene intuitive Bedeutungserfahrungen nicht ausgetauscht oder vermittelt werden. Konterkarierend könnte man auch sagen: ein Wort sagt mehr als tausend Bilder, kann mehr als tausend Bilder umfassen. Denken wir an die vielerlei Ausformungen des Gnadenwortes, der Gnadengaben und Gnadenwerke, ebenso der Liebe, dann erweisen sich unzählige sichtbare Gestaltwerdungen als Konkretionen von Liebe und Gnade. Welch ein Kosmos an Worterweisungen! - Aber schon in rein kommunikationstechnischer Hinsicht zeigt das Wort enorme Vorteile, es ist leichter und schneller zu transferieren als das Bild, als Medium deshalb praktikabler, einfacher und sicherer, es erfordert den geringeren technischen Aufwand, erlaubt höhere Übertragungs- und Verbreitungsgeschwindigkeiten und ist geringeren Störfaktoren ausgesetzt, d.h. hat einen eindeutigeren Wiedererkennungs- und Identifikationswert. Nicht umsonst operieren moderne Programmiersprachen wie z.B. das dem web zugrunde liegende XHTML allein mit Worten und Zeichen, auch Bilder werden wie Worte behandelt; der Browser auf dem Rechner des Nutzers ist dann nichts anderes als ein Leser, der einen Text liest und nach dessen Vorgaben interpretiert, d.h. die Auslegung des Wortes ist bereits in diesem enthalten. Die menschliche Neigung zur Multiplikation des Wortes signalisiert indes nicht nur dessen inflationären Charakter, sondern ebenso eine Form von Sehnsucht nach dem Wort: im Wort zuhause sein zu können, personale und soziale Identität in ihm zu finden, erweist sich als eine Form genuin menschlicher Ursprünglichkeit. Dass man heute vom Kommunikations- und Medienzeitalter spricht, ist mithin auch ein Indiz dafür, dass der Mensch sein Bedürfnis nach dem Wort, nach Kommunikation und Gemeinschaft in immer stärkerer Intensität erleben möchte.

 

Wort wird Licht wird Leben

Die Worttat des ersten Tages bezieht sich zunächst auf die Erscheinung des Lichts. Damit kann nicht das geschöpfliche Licht in Gestalt der Himmelskörper in Gen 1,14 gemeint sein, vielmehr deutet der gesamtbiblische Kontext darauf hin, dass von Christus, dem "Licht der Welt" die Rede ist. "In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat's nicht ergriffen." (Joh 1,4). Die mit der Lichtgabe einsetzende Schöpfungsfolge nimmt keinen Bezug zu der vorausgehenden Chaoswelt, etwa in dem Sinne, dass diese als materiale Voraussetzung gedient hätte."Er deckt Verborgenes auf aus dem Dunkel, und das Finstere bringt er ans Licht" (Hiob 12,22). Nach der Vorbereitungsphase des über dem Chaos schwebenden Geistes bricht nun der Kontrast durch: " ... die im Land tiefsten Dunkels leben, über ihnen ist ein Licht aufgestrahlt" (Jes 9,1). Der allumfassenden Finsternis tritt Gottes »Außenwirkung« entgegen, "der du dich hüllst in Licht wie in einen Mantel, der den Himmel ausspannt wie ein Zelt" (Ps 104,2). Gott selbst tritt auf und erscheint mit einem "Mantel" aus Licht bekleidet. Ein Licht von solcher Intensität, dass die gesamte Erde davon erfüllt und erleuchtet wird. Diese Selbstoffenbarung Gottes im Licht kann gleichbedeutend mit dem ersten Schöpfungswerk betrachtet werden. Nichts vordergründig Materielles haftet ihm an - das ohnehin schon vorhanden war - , vielmehr beherrscht die Präsenz des göttlichen Lichts den Gesamtraum und bildet die Voraussetzung für die weiteren Schritte der Schöpfung. Um welche Art von Licht es sich dabei handelt? Ein Licht, das dem Wort entspringt und in Psalm 43 wiederum in die Nähe des Wortes zurückgeführt wird: "Sende dein Licht und deine Wahrheit" (Ps 43,3). Licht und Wahrheit nähern sich gleichsam asymptotisch an, "denn das Gebot ist eine Leuchte und die Weisung ein Licht" (Spr 6,23). Das Licht steht für die Wahrheit und Weisung Gottes. Hier sind Wortschöpfung und Wortoffenbarung aufs Engste miteinander verbunden. Das durchs Wort gewordene Licht bringt wiederum das Wort der Wahrheit hervor, das erschienene, aufscheinende Licht wird zum Wortschöpfer und -träger. Bewusst ist hier nicht vom Erschaffenen die Rede, das Verb "schaffen" wird im Unterschied zu Gen 1,1 an dieser Stelle nicht verwendet, vielmehr liegt die Betonung auf dem Sein und Werden: vayehi or, und es wurde Licht. Wiederum werden wir an den Johannesprolog erinnert, der ebenso die Präexistenz und Erscheinung des Wortes in den Mittelpunkt stellt: der Logos war bei Gott, alles ist durch ihn geworden, in ihm war das Licht der Menschen, und das Licht erscheint in der Finsternis, der Logos ist das wahre Licht, er kam in seine Welt, die ihn jedoch nicht erkannt und anerkannt hat. Auch hier ist wie in Gen 1,3 die Wirkung des Wortes das Licht, das in der von Finsternis bedeckten Welt aufleuchtet. "Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell" (Jes 9,1). Licht erscheint dabei in einer Doppelfunktion bezüglich des Wortes: es kommt aus dem Reden Gottes und führt hin zum Reden Gottes. Es gibt Gottes Wort weiter, orientierend und ausrichtend, nimmt einen Weg mit einer bestimmten Zweck- und Zielsetzung: "Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege" (Ps 119,105), "denn das Gebot ist eine Leuchte und die Weisung ein Licht, und die Ermahnungen der Unterweisung sind ein Weg zum Leben" (Spr 6,23). Eine kontinuierliche Abfolge von Wechselwirkungen zwischen Wort und Licht setzt sich in die Welt hinein fort: aus dem Reden Gottes wird Licht, das Licht verweist auf das Wort Gottes, das Wort wiederum geht durch die Welt, um ihr das Licht zu bringen: "Solange ihr das Licht habt, glaubt an das Licht, damit ihr Söhne und Töchter des Lichts werdet!" (Joh 12,36). Das Wort des Evangeliums sollte von Jerusalem aus zu den Völkern gehen und ihnen das Licht Gottes bringen: "Zum Licht für die Völker habe ich dich bestellt, damit du zur Rettung werdest bis an die Enden der Erde" (Apg 13,47) hatte Paulus unmittelbar nach seinem Damaskuserlebnis als Auftrag bekommen, eine Sendung, das Wortlicht zu den Nationen zu bringen.