Perspektivismus

Pragmatistischer Perspektivismus als
Konzeptentwurf soziologischer Methodologie

Gegenwärtige und zukunftsfähige Gesellschaftsanalyse braucht einen methodologischen Ansatz, der einerseits eine wissenschaftlich kritische Distanz wahrt, andererseits symbiotisch kommunikativen Charakter hinsichtlich seines »Forschungsgegenstandes Gesellschaft« trägt.


Leseprobe

 

Übersicht

In dieser Arbeit werden methodologische Fragen zur Analyse gesellschaftlicher Prozesse behandelt. Als epistemologische Grundlage der Überlegungen dient das Perspektivismus-Konzept, einschließlich damit einhergehender, sowie daraus hervorgehender Konzeptionen, die als solche entfaltet und in ihrer soziologischen Relevanz expliziert werden.

Den Argumentationsgang gedenke ich in folgenden Schritten entfalten: Im ersten der vier Hauptteile werden Bezüge zum Bestand perspektivistischen Denkens in Gestalt bereits vorhandener Ansätze perspektivistischer Konzeptualisierungen aufgenommen. Nach einer jeweiligen inhaltlichen Skizzierung soll ihre Problematik diskutiert und ihre Bedeutung für ein methodologisches Konzept der Perspektive herausgearbeitet werden. Im einzelnen handelt es sich dabei um den philosophischen Ansatz Kaulbachs, der auf Kant, Hegel und Nietzsche zurückgeht, um den sozialpsychologischen Graumanns, von dem ich etliche soziolinguistische Studien referieren werde und schließlich um den soziologischen Zugang von Schütz/Luckmann mit ihrem Konzept der "Reziprozität der Perspektiven".

 

 

 

Im zweiten Teil wird die Methodik der Analyse von Gesellschaft wissenschaftstheoretisch reflektiert. Es werden epistemologische Grundlagen und ihre soziologische Bedeutung erarbeitet, die begründen sollen, warum das Konzept der Perspektive einen sachgemäßen und soziologisch konsequenten Ansatz darstellt. Der argumentatorische Duktus baut auf dem Doppel-Theorem G.H. Meads auf, demzufolge Realität als perspektivische Konstruktion und Objektivität als perspektivische Organisation begriffen wird. In Folge geht es um die Schaffung eines methodologischen Bezugsrahmens, der aus den Grundbegriffen Kommunikation, Identität, Perspektive, Objektoffenheit und Pragmatik besteht.

Des weiteren soll begründet werden, warum das Konzept der Perspektive innerhalb des sozialwissenschaftlichen Diskurses ein dem Untersuchungsgegenstand »sozialer Prozess« angemessenes Analyse-Instrument darstellt.
Werden soziale Prozesse mit Perspektiven in Zusammenhang gebracht, ergibt sich unweigerlich die Notwendigkeit für ein Organisationskriterium, das die jeweiligen Perspektiven zueinander in Beziehung bringt. Ein solches entnehme ich den Ansätzen des amerikanischen Pragmatizismus, vor allem dem Wahrheitsbegriff von C.S. Peirce. Gleichzeitig soll dadurch eine Brücke zwischen Wissen und sozialem Handeln geschlagen werden, die in der pragmatistischen Überwindung der Dichotomie von Theorie und Praxis resp. der Kategorienlehre von Peirce angelegt ist.

Zum Schluss der Arbeit, im vierten Hauptteil, möchte ich eine theoretische Konzeption für eine auf der perspektivistisch-pragmatistischen Methodologie aufbauende methodische Erforschung sozialer Prozesse anbieten, die sich an Urie Bronfenbrenners “Ökologie der menschlichen Entwicklung” orientiert. Bronfenbrenners entwicklungssoziologische Konzeption wird auf gesellschaftliche Entwicklungsprozesse hin gewendet und in den Kontext des Perspektivismus eingebracht. Dadurch ergeben sich erste Ansätze methodischer Analyse-Systeme auf der Basis des Konzepts der Perspektive.